Goethes geheime Liebe – Anna Amalia?

Das LiteraTheater spielt:

Goethes geheime Liebe – Anna Amalia?

Unterhielt Goethe eine lebenslange Liebesbeziehung zu der früh verwitweten Herzogin Anna Amalia, die aus Gründen der Staatsraison verheimlicht werden musste? Und wurde der Öffentlichkeit ein Liebesverhältnis zwischen Anna Amalias Hofdame Charlotte von Stein und Goethe nur vorgetäuscht? Petra Seitz und Martin Lunz vom LiteraTheater Badenweiler inszenieren anhand neuer Erkenntnisse in ihrem Theaterstück das Geheimnis einer edlen Liebe. „Die Verschwiegenheit hat vieles gut gemacht.“

Kurhaus Badenweiler, Vortragssaal
Mittwoch, 21. Mai 2008, 20.15 Uhr
Eintritt € 13 / 12 (Kurkarte) € 7 (Schüler / Studenten)
Tel. Kartenreservierung: BTT 07632 799300 oder 5746 AB

3 Kommentare zu „Goethes geheime Liebe – Anna Amalia?“

  1. Anna Amalia und Goethe, eine lebenslange Liebe!
    Bei GOOGLE werden Sie unter meinem Namen noch weit mehr finden über Goethes geheime Liebe zu Anna Amalia, die schon im September 1772 begann. Unter GOOGLE finden Sie mein Buch. Hierin weise ich anhand von Briefen und Goethe-Werken wie „Werther“, „Dichtung und Wahrheit“ und „Faust“ Goethes Hinweise auf seine wahre Liebe nach. Sowohl Werthers Lotte als auch eine zweite Lili sind Anna Amalia! Und „Faust“ enthält z. B. auch eine Widmung für Sie. Goethes Verbindung zu Ana Amalia bereits vor seiner Weimarer Zeit ab 7. November 1775 durfte auf keinen Fall bekannt werden. Anderenfalls hätte niemand an Goethes „Liebe“ zu Frau von Stein geglaubt. Nicht nur die wahrscheinlich vernichteten Briefe Anna Amalias an Goethe, sondern auch z. B. die Briefe an Frau von Stein wären dann heute nicht mehr vorhanden. Dafür hätte der Dämon Carl August gründlich gesorgt.
    Horst Strelow

  2. Goethes Felix –
    Hatte Herzogin Anna Amalia einen Sohn mit Goethe?

    Horst Strelow

    (Dankbar meinem Schulfreund für vielfältige Anregungen und Hilfen)

    Vor einigen Jahren machte ein Schulfreund den Verfasser dieser Zeilen auf einen Artikel im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung aufmerksam mit dem Titel „Auf der Suche nach Goethes Whakapapa“ – Hat er Nachfahren unter den Maori in Neuseeland?“. Dieser Artikel von Tom Appleton hat aufgrund neuer Erkenntnisse der Goethe-Forschung eine unerwartete Aktualität erlangt. Zuerst einmal sei kurz wiedergegeben, was Appleton zusammengetragen hat.

    Ausgangspunkt seiner Recherche war ein gewisser John Francis Gotty, geboren 1816 (evtl. auch 1809) in Berlin, verstorben 1893, begraben in Maori-Tradition an der Mündung des Flusses Rangitikei. Dieser Gotty hatte sich als Enkel Goethes und einer Ahnfrau „Lili“ bezeichnet, war in Berlin zusammen mit Bismarck zur Schule gegangen, nach England übergesiedelt, und von dort mit 500 der besten Schafe nach Neuseeland ausgewandert, wo er im Dezember 1849 die neuseeländische Staatsbürgerschaft beantragte. Sein 1780 geborener Vater sei ein Kavallerie-Offizier der preußischen Armee gewesen und habe „Antonia Von Goethe“ (sic!) geheißen, seine Mutter Emma Von Goethe, beide wohnhaft in Berlin. Bei „Antonia“ handelt es sich ganz sicher um einen Schreibfehler, der Name lautete vermutlich Antoine.

    Der potentielle Goethe-Enkel John Francis Gotty war Farmer, Hotelier und Gastwirt – ähnlich seinem Ururgroßvater Friedrich Georg Göthe (sic), der bei seinem Tod 1730 seiner Witwe Grundstücke in Frankfurt nebst 19.000 Talern hinterließ. John Francis Gotty heiratete die Maori-Frau Elisabeth Rangihirawea, die unter den Maoris unter dem Namen Puhiwahine als Dichterin Berühmtheit erlangte. Von den Maoris wurde Gotty „Te Kati“ genannt, eine Abwandlung des Namens Gotty in die Maori-Sprache, genauso wie der Name Gotty eine englische Anpassung an den Namen Goethe war.

    Mit seiner Frau hatte John Francis Gotty zwei Söhne, George und John Gotty, beide hochintelligent. Letzterer beherrschte 6 oder 7 Fremdsprachen, studierte in Oxford und wurde dort wegen hervorragender Leistungen 1868 ausgezeichnet. Anschließend reiste er nach Berlin, um seine Großeltern Antoine und Emma von Goethe zu besuchen (der Großvater Antoine müßte zum Zeitpunkt des Besuchs 88 Jahre alt gewesen sein). Johns Tochter Te Kune berichtete noch als 86-jährige, die Großeltern hätten ihn abgewiesen mit der Begründung, er sei ein Schwarzer! Tief enttäuscht habe John daraufhin die Verlobung mit einer Weißen gelöst, sei nach Neuseeland zurückgekehrt, habe der Kultur der Weißen weitgehend den Rücken gekehrt und die Maori-Frau Riria geheiratet. Seine Nachfahren seien zahlreich gewesen. Einer dieser Nachfahren war ein gewisser Griffith, ein Goldschmied in Palmerston North, der nach eigener Aussage mütterlicherseits von den Gottys abstammte. Mit ihm hat Appleton noch telefonisch gesprochen, ihn aber später nicht mehr auffinden können. Griffith sei gutaussehend gewesen und hätte große Ähnlichkeit mit dem alten Goethe gehabt.

    Soweit also der Stand Tom Appletons in dem Artikel in der Süddeutschen Zeitung von 1991, der mit dem schönen Satz endet: So bleibt als Resultat dieser Spurensuche nur ein seltsamer, aber irgendwie tröstlicher Gedanke: der vage Verdacht, daß der größte Dichter der Deutschen, allem bigotten Rassismus seines Volkes zum Trotz, vielleicht doch in einer braunen Rasse am Rande des Südpazifiks ein Weiterleben gefunden haben könnte.

    Für die folgende Analyse zur Vaterschaft Goethes und der genannten „Ahnfrau“ Lili seien die neueren Erkenntnisse der Goethe-Forschung kurz skizziert. Vor einigen Jahren fand der Weimarer Rechtsanwalt Ettore Ghibellino heraus, daß Goethes Liebesbriefe „An Frau von Stein“ in Wirklichkeit an die Herzogin Anna Amalia gerichtet waren, und daß es zwischen ihr und Goethe eine Liebesbeziehung zwischen 1776 und 1786 gegeben hat. Die Adresse „An Frau von Stein“ war also nichts weiter als eine Deckadresse. Seine Erkenntnisse veröffentlichte Ghibellino erstmals 2003. Hierin erwähnt Ghibellino Annalen der Goethe-Familie, nach denen Goethe die Herzogin Anna Amalia schon drei Jahre vor seiner Übersiedlung nach Weimar (1775), also schon 1772 kennengelernt haben könnte.

    Diesem Hinweis ging der Verfasser dieser Zeilen [H. S.] nach und fand anhand von Goethes Briefen und seinem Werk Dichtung und Wahrheit die Bestätigung, daß diese Bekanntschaft tatsächlich seit 1772 bestand. Auch ein Teil der an die Kestners (Familie der mit Kestner verheirateten Charlotte Buff) ab November 1772 bis Herbst 1774 gerichteten Briefe sowie die Briefe von 1775 an eine „Theure Ungenannte“ und an „Auguste zu Stollberg“ waren an Anna Amalia gerichtet, waren also ebenfalls deckadressierte Briefe. Durch geschicktes Eingehen auf die Familienverhältnisse der jeweiligen Adressaten blieben diese Briefe bis heute unverdächtig. Viele Details weisen jedoch eindeutig auf Anna Amalia als Empfängerin. Der Verfasser konnte außerdem nachweisen, daß Goethe in seinem im Herbst 1774 erschienenen und 1786 geänderten Werk „Die Leiden des jungen Werthers“ in den Figuren der „Lotte“, „Fräulein von B“ und der „älteren Witwe“, die nicht mehr heiraten wollte, Anna Amalia darstellte. Die Figuren „Albert“ und “Herr Schmidt“ verkörpern ihren Sohn Carl August.

    Um seinen „Werther“ thematisch an das Leben des verlobten und später verheirateten Paares Charlotte Buff und Christian Kestner anzupassen, ließ Goethe „Lotte“ den „Albert“ scheinbar „heiraten“, was Werther letztlich zum Selbstmord treibt. Doch Goethe beschrieb das Verhältnis zwischen „Lotte“ und „Albert“, den wahren Personen gemäß, wie zwischen Mutter und Sohn und bezeichnete Albert, dies versteckt andeutend, als „Strohmann“. Diesen Carl August repräsentierenden „Albert“ mußte Goethe mit für Lotte noch erträglichen Eigenschaften darstellen, damit deren Bevorzugung Alberts anstelle Werthers (Goethe) verständlich blieb. „Herr Schmidt“ ist der wahre, in seinen Zügen schon erkennbar tyrannische Carl August, unter dem Goethe, um seiner Liebe zur Herzogin Anna Amalia willen, schon ab 1772 so viel und geduldig litt.

    Ein wesentliches Ergebnis der vom Verfasser durchgeführten Analyse ist vor allem, daß Goethe in Dichtung und Wahrheit ab dem Dreizehnten Buch die erlebten Episoden mit zwei verschiedenen Frauen beschrieb, denen er ab dem Siebzehnten Buch den Namen „Lili“ gab. Die Erlebnisse mit den beiden Lilis verteilte Goethe im Werk in nicht chronologischer Reihenfolge, so daß jene inhaltlichen Widersprüche entstanden, die schon viele Leser zur Verzweiflung brachten. Bringt man aber die den beiden Lilis zugeordneten Episoden in die richtige chronologische Reihenfolge, so ergeben sich zwei Frauengeschichten.

    Die eine Frau Lili ist die Goethe langweilende, erst sechzehneinhalbjährige Anna Elisabeth Schoenemann (mit Kosenamen „Lili“), mit der er im Frühjahr 1775 zum Schein ein „Verlöbnis“ einging, um eine gerüchteweise bekannt gewordene vorangegangene Liaison im Dezember 1774 mit der Fürstin Anna Amalia zu vertuschen. Er entzog sich dem mit seiner „Verlobten“ durchlebten Frust durch eine fast vierteljährliche Reise mit drei gräflichen Freunden in die Schweiz (Mai bis Juli 1775) in der Erwartung, anschließend von Carl August nach Weimar mitgenommen zu werden – was ihm laut Die Leiden des jungen Werthers schon für das Frühjahr 1775 zugesichert worden war.

    Die andere Frau Lili ist die Herzogin Anna Amalia, 1772 noch stellvertretende Regentin des Herzogtums Sachsen-Weimar und Eisenach, dreiunddreißig Jahre alt, seit 14 Jahren Witwe, und mit den beiden flegelnden Söhnen Carl August (15) und Constantin (14) „gesegnet“. Sie sprach mehrere Sprachen, beherrschte mehrere Musikinstrumente, war kindlich zierlich, hoch intelligent, von schöner Gestalt und schöner Seele – und von Goethes Werken begeistert. Als sie sich im September 1772 das erste Mal bei Koblenz trafen, verliebten sich beide im wahren Sinne des Wortes „unsterblich“ ineinander. Aus Liebe, und um für ihre erziehungsbedürftigen Söhne einen Erzieher zu gewinnen, versuchte Anna Amalia anschließend Goethe nach Weimar zu holen, zum Entsetzen von Goethes Vater, der laut Dichtung und Wahrheit „Verstellung“ und für später „etwas Schlimmeres“ befürchtete und sie „Staatsdame“ nannte. Dabei mußte geheim bleiben, daß die Einladung nach Weimar von Anna Amalia (und nicht etwa von ihrem Sohn Carl August) ausging. Eine Beziehung zwischen einer Fürstin und einem Bürgerlichen galt damals noch als ein Sakrileg, das – wie die Affäre der dänischen Königin Karoline Mathilde mit Dr. Struensee 1772 gezeigt hatte – für den bürgerlichen Emporkömmling sogar mit dem Tode enden konnte. Anna Amalia mußte deshalb die Einladung Goethes nach Weimar ihrem am 3. September 1775 mit 18 Jahren zum Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach ernannten Sohn überlassen, der dies in übelster Weise behinderte, so daß Goethe erst am 7. November 1775 in Weimar eintraf. Alles, was Goethe zuvor und später unter dem Namen Lili verherrlichend erwähnte oder dichtete, galt ausnahmslos Anna Amalia, z. B. auch das Gedicht Lilis Park. Und die „Lotte“ in seinen Briefen an „Frau von Stein“ war natürlich die „Lotte“ seines Werther – also ebenfalls Anna Amalia.

    Nicht nur Goethes leidenschaftliche Hingabe an Herzogin Anna Amalia in Weimar, sondern selbstverständlich auch deren vor-Weimarer Liebesbeziehung mußte aus vorgenannten Gründen vor der Öffentlichkeit und auch vor Carl August geheim bleiben. Die öffentlich zur Schau gestellte „Liebe“ zu Frau von Stein war nur gespielt. Letztere, sieben Jahre älter als Goethe, kränkelnd, verheiratet und 1776 mit drei noch lebenden Kindern gesegnet, diente lediglich als eine Art „postillon d´amour“, welche Goethes an „Frau von Stein“ gerichtete Briefe der Herzogin überbrachte.

    Und jetzt wird es interessant: Nicht nur, daß Goethe in seinem „verschollenen“, erst 1910 als Abschrift von der Abschrift der Züricherin Barbara Schultheß wiederentdeckten Werk Wilhelm Meisters Theatralische Sendung sein (Wilhelm Meisters) Verhältnis zu Anna Amalia (Mädchen, Madame B, Mariane) und Carl August (Werner) genauestens beschrieb, nein, er berichtete auch haarklein über Marianes Schwangerschaft, und in den später geschriebenen Lehr- und Wanderjahren von der Geburt eines Felix und dessen Herkunft aus vornehmem Hause.

    Die ersten zwei Bücher der Theatralischen Sendung beschreiben alle Gewaltakte Carl Augusts gegenüber Goethe, nachdem dieser ihm sein Verhältnis zu Anna Amalia gestehen mußte. Carl August verbannte ihn daraufhin aus Weimar und setzte ihn in Karlsbad fest. Dies vorausahnend nahm Goethe sich vor, zu fliehen. Er legte sich einen falschen Namen zu und bewältigte die ersten Gewalt-Etappen ab dem 3. September 1786 (Geburtstag Carl Augusts) in für damalige Verhältnisse extrem kurzer Zeit, so daß er, trotz eines seine Spur verwischenden Umwegs per Boot über den Garda-See, schon nach elf Tagen im italienischen Verona eintraf. Seine Absicht war, Anna Amalia nachzuholen.

    In der Theatralischen Sendung berichtete Goethe auch über Wilhelm Meisters schon seit vierzehn Jahren andauernde Vertrautheit mit Mariane. Unterstellt man, daß in Wirklichkeit Anna Amalia gemeint war, so hätte sich die Beziehung also über die Jahre 1772-1786 erstreckt, d.h. die beiden hätten sich tatsächlich seit 1772 gekannt und die ersten zwei Bücher wären erst nach Fluchtbeginn 1786 geschrieben worden. Alle Indizien sprechen dafür und auch dafür, daß es den erwähnten Sohn Felix der Mariane tatsächlich gab: er wäre der Sohn Goethes und Anna Amalias gewesen! Dafür sprechen neben Goethes Die neue Melusine, in der ihr Weggefährte seine geliebte Fürstin schwängert, heiratet und bedrückt verläßt, zusätzlich folgende Umstände:

    Genau zu dem im Appleton-Bericht angegebenen Geburtsjahr 1780 jenes Antoine von Goethe hatte Anna Amalia im Herbst dieses Jahres eine fast einmonatige „Bildungsreise“ ins Rheinland unternommen, und Goethe in wilder Verzweiflung zurückgelassen – verzweifelt angeblich deshalb, weil sein alter Leipziger Lehrer Oeser Anna Amalia begleitete, und Goethe auf ihn eifersüchtig gewesen sei. Doch Oeser war mit seinen 63 Jahren um etwa 22 Jahre älter als Anna Amalia, und außerdem absolut vertrauenswürdig. Aus den Goethe-Briefen jener Zeit an Frau von Stein geht auch eine anschließende mehrmonatige Verstimmung zwischen Goethe und Anna Amalia aus den anschließend geschilderten Gründen hervor. Nicht bewiesen, aber sehr wahrscheinlich ist folgendes:

    Anna Amalia war hochschwanger, gebar einen Sohn in der Umgebung von Frankfurt, wahrscheinlich sogar bei Goethes Mutter Catharina Elisabeth (im Zweiten Kapitel des Ersten Buches der Wanderjahre wird in Geschichten erzählten Anlehnungen an Goethes Schicksal eine Elisabeth als freundliche Geburtshelferin genannt). Anna Amalia wartete in Frankfurt (sehr wahrscheinlich bei Goethes Mutter) 12 Tage lang angeblich auf die Rückkunft des gemeinsamen Freundes Johann Heinrich Merck, der zu jener Zeit geschäftlich in Kassel weilte. Wahrscheinlich gab man das neugeborene Kind in eine Pflegefamilie, ein damals übliches Verfahren bei einem von einer adligen Dame geborenen sogenannten „Bastard“. Und die Pflegemutter könnte Lili Schoenemann gewesen sein, die, mittlerweile mit einem Bankier von Türckheim verheiratet, in Straßburg lebte. Goethes Verzweiflung und anschließende Verstimmung wäre dann dem Entzug seines Sohnes und seinem aufgezwungenen Versteckspiel zuzuschreiben, das ihn am normalen Vatersein hinderte.

    Lili Schoenemann, verheiratete Lili von Türckheim, hatte eine Tochter (*1779) und bis 1785 vier Söhne, und einer davon könnte jener „Bastard“ gewesen sein. Goethes Briefe an Lili von 1801 und 1807 zeugen von großer Dankbarkeit, nachdem sie ihn laut Tom Appleton schriftlich um Hilfe für einen Jungen, Verdienstvollen Mann gebeten hatte. Warum wohl bittet sie nur für diesen einen um Hilfe, obwohl sie nach ihrer Flucht vor den Franzosen und genehmigter Rückkehr wieder in wohlhabenden Verhältnissen lebte? Die Art der Hilfe bleibt unbekannt, aber Goethe hat mit Sicherheit geholfen, so wie er es immer tat, wenn Menschen z. B. unverschuldet in Not gerieten – wie z. B. seinem Freund Merck, dem Maler Tischbein und vielen anderen.

    In Wikipedia findet sich folgender, in seinem Wahrheitsgehalt nicht überprüfte Text: „Lili widmete sich ganz der Erziehung ihrer Kinder. Da ihr Sohn Wilhelm als Husarenlieutenant Napoleons Feldzüge in Deutschland, Spanien und Rußland mitkämpfte, mangelte es ihr nicht an Sorgen. Ein Irrtum ist die Annahme, daß Wilhelm von Türckheim der Husarenlieutenant war, den Goethe’s Tagebuch unterm 17. October 1806 erwähnt.“

    In Goethes Tagebüchern heißt es unter dem 17. Oktober 1806 lediglich: „Marschall Augerau ab. Der Kaiser ging ab. …Geheimnisvolle Unterhaltung mit dem Husarenoffizier“. Zum Besuch des jungen Offiziers in Weimar und zur Vaterschaft Goethes gibt es noch weitere Hinweise:

    Der erste Hinweis stammt von seinem Sekretär Riemer, der zum Dienstag, den 14. Oktober 1806, also bei Beginn der napoleonischen Besetzung Weimars kurz nach der für Preußen verlorenen Schlacht bei Jena und Auerstedt, schrieb: „… bald darauf merkte ich, daß Goethe zu Fuße an der Seite eines Husarenoffiziers nach dem Markte zu also vermutlich auf das Schloß ging. Erst lange nachher erfuhr ich, dieser Offizier, der mir als Bekannter Goethes bezeichnet wurde, habe sich sehr geheimnisvoll nach ihm erkundigt; es war ein Baron Türkheim, Sohn der unter dem Namen Lili als Goethes frühere Geliebte berühmt gewordenen Frau von Türkheim geb. Schönemann …“.

    Auffallend an diesem Text sind zwei Aspekte: Zum einen die geheimnisvolle Erkundigung nach Goethe. Jeder leibliche Lili-Sohn hätte aus der Suche nach Goethe kein Geheimnis gemacht! Wahrscheinlich wußte der Offizier inzwischen von seiner Stiefmutter Lili, wessen Sohn er tatsächlich war, und fragte geheimnisvoll nach seinen Eltern. Außerdem waren die Türckheims Freiherren und keine Barone, Goethe aber sehr wohl! Warum nennt Riemer den Sohn Baron und Frau von Türkheim nicht Baronin? Möglicherweise hatte dieser Offizier bereits Goethes Adelstitel übernommen; warum nicht auch dessen Namen von Goethe, unter dem Wilhelm von Türckheim später als Antoine von Goethe in Berlin lebte. Oder wollte der in Goethes Geheimnisse eingeweihte Riemer mit dem Hinweis Baron für die Nachwelt einfach nur einen versteckten Hinweis auf die wahre Identität des jungen Türckheim geben? Wilhelm von Türckheims späterer Namenswechsel in Antoine von Goethe könnte sehr wohl mit seinem Wechsel zur Preußischen Armee zu tun haben, die nicht unbedingt wissen mußte, daß er zuvor unter Napoleon gedient hatte und im Krieg gegen Preußen und Verbündete sogar verwundet wurde.

    Zum anderen kommt aufgrund der Ergebnisse des Verfassers als Goethes frühere Geliebte ab 1772 ausschließlich Anna Amalia in Frage. Goethe bezeichnete Lili von Türckheim auch 1779 noch in einem Brief an „Frau von Stein“ als Grasaffen. Er war froh, sie los und von ihr fern zu sein! Und auch aus vielen anderen Details ist Goethes Vaterschaft mit Lili von Türckheim, die angeblich 1779 auf der Schweizreise Goethes mit Carl August ihre Ursache gehabt haben soll, auszuschließen, aber für die verschleierte Herkunft des „Bastards“ der Fürstin Anna Amalia wunderbar geeignet! Aus allen dem Verfasser der vorliegenden Zeilen bekannten Schriften Goethes geht dessen ihr geschworene absolute Treue gegenüber Anna Amalia bis 1788 hervor, die er selbst in Italien wahrte!

    Der zweite Hinweis auf Goethes Vaterschaft stammt von Goethe selbst. Nachdem ihn Karl von Türckheim, ein leiblicher Sohn Lili von Türckheims, mit Frau besucht hatte, schrieb Goethe am 14. Dezember 1807 an dessen Mutter: „Mit Ungeduld erwarte ich den anderen Angekündigten schon lange vergebens, ich wünschte bei diesem nachzuholen, was ich bei dem ersten versäumte. … Leben Sie wohl und ruhig nach so vielen äußern Leiden und Prüfungen, die zu uns später gelangt sind und bei denen ich Ursache habe, an Ihre Standhaftigkeit und ausdauernde Großheit zu denken. … Ihr ewig verbundener Goethe“.

    Der andere Angekündigte war mit einiger Sicherheit ein ebenfalls von Lili aufgezogener „Sohn“; und was sollte ihn, den von Goethe so ungeduldig Erwarteten, wohl gegenüber den anderen Lili-Söhnen auszeichnen als Goethes Vaterschaft? In dem zitierten Brief könnte der Halbsatz „was ich bei dem ersten versäumte“ im übertragenen Sinne auch heißen „was ich bei dem ersten Treffen versäumte“ oder „was ich bei dem ersten bei mir Erschienenen, also Wilhelm, versäumte“. Das hieße: Nachdem Goethe seinen Sohn 1806 als napoleonischen Husarenoffizier sicherlich nur kurz gesehen und geheimnisvoll gesprochen hatte, sehnte er sich mehr als ein Jahr danach, ihn erneut bei sich zu haben, um nachzuholen, was er beim ersten Treffen versäumte! Was sollte Goethe an Karl versäumt haben, der mit seiner Frau sicherlich länger bei Goethe hätte bleiben können.

    Der dritte Hinweis auf Goethes Vaterschaft stammt von Bettina von Arnim (geborene Brentano, Enkelin der Dichterin Sophie von La Roche). In dem von ihr überlieferten Briefwechsel Goethes mit einem Kinde (Bettina) schrieb sie u. a. in Erinnerung an Ereignisse von 1806 um die liebeskrank-lebensmüde, mit ihr eng befreundete Karoline von Günderrode (geb. 1780, gest. 1806 durch Selbstmord mit dem Dolch) an Goethes Mutter: Am andern Tag führte ich ihr einen jungen französischen Husarenoffizier zu mit hoher Bärenmütze; es war der Wilhelm von Türkheim, der schönste aller Jünglinge, das wahre Kind voll Anmut und Scherz; er war unvermutet angekommen; ich sagte: „Da hab’ ich dir einen Liebhaber gebracht, der soll dir das Leben wieder lieb machen.“

    Am 14. Juni 1807 schrieb sie an Goethe: So kann ich Ihnen auch das Liebesgeheimnis mit der Bärenmütze für Ihren leisen Spott über meine ernste Treue auf das beschämendste erklären. – … Dies Jahr kam er wieder mit einer kaum vernarbten Wunde auf der Brust; er war blaß und matt und bleib fünf Tage bei uns [wahrscheinlich bei Goethes Mutter, bei der Bettina zu jener Zeit wie zu Hause war] … er spielte auf der Gitarre [wie Anna Amalia] … Dieser Jüngling, dessen Mutter [Bettina wußte nichts von Goethes Beziehung zu Anna Amalia, die zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war] stolz sein mag auf seine Schönheit, von dem die Mutter [Goethes] mir erzählte, er sei der Sohn der ersten Heißgeliebten meines geliebten Freundes [Goethe], hat mich gerührt. Und nun mag der Freund sich’s auslegen, wie es kam, daß ich dies Jahr Herz und Aug’ für ihn offen hatte und im vorigen Jahr nicht.“

    Wer diese erste Heißgeliebte ihres Sohnes wirklich war, wird Goethes Mutter auch Bettina nicht verraten haben. Doch gemäß der Formulierung hat Goethes Mutter ihren Sohn eindeutig als Vater dieses Bärenmütze tragenden Husarenoffiziers Wilhelm von Türckheim benannt. Und bei der ersten Heißgeliebten kann es sich ab 1772 ausschließlich um Anna Amalia gehandelt haben. Goethes Mutter nannte ja wohlgemerkt nicht Lili v. Türckheim als Mutter. Andere Frauen, die in der Sekundärliteratur als erste „Heißgeliebte“ Goethes galten, wie Friederike Brion, Charlotte Buff oder Maximiliane von La Roche (die Mutter Bettinas) kommen wegen des gesicherten Geburtsdatums 1780 als mögliche Mütter ebenfalls nicht in Betracht.

    Der vierte Hinweis auf Goethes Vaterschaft stammt ebenfalls von Goethe, und indirekt von Anna Amalia. Der Verfasser der vorliegenden Zeilen hat nachgewiesen, daß das der Autorin Friedrike Helene Unger zugeschriebene Buch „Bekenntnisse einer schönen Seele – von ihr selbst geschrieben“ in Wahrheit aus der Feder Anna Amalias stammt. Dieser Nachweis war u. a. mit Hilfe der auffallend langen Rezension Goethes zu diesem Buch möglich. Sich hierin auf ein angenommenes Kind der schönen Seele beziehend, schrieb Goethe in der Rezension: „Eine Neigung, welche sie gegen Wilhelm Meister gefaßt, wollen wir derselben weniger verargen; doch wünschten wir, die Verfasserin hätte, anstatt des Buches (Goethes: Die natürliche Tochter) zu erwähnen, gedachten Romanhelden selbst, etwa mit seinem größer gewordenen Felix auftreten lassen, da sich denn wohl Gelegenheit gefunden hätte, ihm etwas Liebes, Gutes oder Artiges zu zeigen.“

    Dies beweist eindeutig die gemeinsame Elternschaft Goethes und der Verfasserin Anna Amalia zu Felix (dem Glücklichen). Und dieser Felix war mit größter Wahrscheinlichkeit Wilhelm von Türckheim.

    Zusammengefaßt läßt sich folgendes feststellen: Die Wikipedia-Aussage, Wilhelm von Türckheim sei nicht der im Goethe-Tagebuch erwähnte und von Goethe mit Geheimnistuerei empfangene Husarenoffizier, ist falsch. Goethes Mutter hatte Bettina von Arnim genau diesen Mann als den Sohn ihres Sohnes mit seiner ersten Heißgeliebten gepriesen – und es besteht kein Grund, diese Aussage zu bezweifeln. Darüber hinaus passen alle über Wilhelm von Türckheim berichteten Merkmale, wie Schönheit, Anmut, Scherz, sein Gitarre-Spiel und sein von Riemer erwähnter Titel „Baron“ genau auf einen Sohn von Goethe und der Fürstin Anna Amalia!

    Man weiß nicht, wann Antoine von Goethe in preußische Dienste trat. Bekannt ist, daß Goethe seinem Sohn August verbot, in die preußische Armee einzutreten, anscheinend in der Sorge, er könne dort seinem Halbbruder Antoine von Goethe begegnen.

    Wie Wilhelm von Türckheim später die Katastrophe des Napoleonischen Rußlandfeldzuges überlebt hat, wissen wir nicht. Zeitgleich mit dem Übertritt hat er vermutlich auch seinen Namen gewechselt und sich fortan Antoine von Goethe genannt. Vater Goethe dürfte nichts dagegen gehabt haben, ja vielleicht hat er seinen Sohn sogar zu diesem Schritt ermuntert und gehofft, dieser würde zu gegebener Zeit das Schicksal seines Vaters einem breiteren Publikum gegenüber offenlegen. Irgendwann um 1815 müßte Antoine dann in Berlin seine Emma geheiratet haben, so daß 1816 der Sohn Johann Franz geboren wurde, der mit dem fast gleichaltrigen Bismarck (* 1815) in dieselbe Schule ging. Nach seiner Auswanderung nach Neuseeland wandelte Johann Franz von Goethe dann seinen Namen ins englische zu John Francis Gotty.

    Ein klärender DNA-Test scheint jetzt von größtem Interesse. Welch ein Gedanke, daß Goethes genetisches Erbe nicht mit seinen kinderlosen Enkeln Walther, Wolfgang und Alma untergegangen ist, sondern noch bei den Maoris fortlebt – z. B. in den zahlreichen Nachfahren jenes Oxford-studierten John Gotty, dessen außergewöhnliche Intelligenz seine Verwandtschaft mit seinen Urgroßeltern, der Fürstin Anna Amalia und Goethe, durchblicken ließ.

    Ein im Internet verfügbarer Artikel meldet die Existenz einer Familie Carl-Francis Gotty. Die Hoffnung ist also groß, daß sich sogar eine väterliche Linie Gottys erhalten hat und nicht nur die mütterliche des von Appleton genannten Goldschmieds Griffith.

  3. Versuch einer Wahrheitsfindung zu Goethes „Werther“.

    Für Generationen von Goethe-Kennern und Goethe-Forschern waren die Hintergründe für das Entstehen von Goethes „Werther“ eindeutig und nachgewiesen. Der „Werther“ handelt von Goethes aussichtsloser Liebe zu Charlotte Buff („Lotte“, *11.1.1753) des Sommers 1772. Zu spät erkennt Goethe (*28.8.1749) deren enge Bindung zu Johann Christian Kestner („Albert“, *1741) und bringt sich als „Werther“ (*28.8.) nach deren Heirat (historisch am Palmsontag 1773) mit einem Schuß in die Schläfe um. – So die uralte Meinung!

    Der 23-jährige Feuerkopf Goethe unterliegt also im Kampf um die Liebe einer 19-jährigen gegenüber einem 31-jährigen Biedermann? Dies bereits ist eine merkwürdige Vorstellung.

    Heute kennt kaum noch jemand die 1774 erschienene Version des „Werther“, mit der Goethe so weltberühmt wurde. Ab 1782 begann Goethe mit einer Umarbeitung und Ergänzung des „Werther“, die er in aller Eile kurz vor seiner Flucht nach Italien (3.9.1786) vollendete. Die überarbeitete Version erschien 1787 während Goethes italienischer Abwesenheit. Sie ist die heute gültige.

    Was war der Grund für die Umarbeitung? Weshalb war Goethe mit der so ruhmreichen 1774-er Version noch nicht zufrieden? Warum beschrieb Goethe diese Arbeit in einem Brief an seinen Freund Knebel als »so delikat und gefährlich«?

    Der Beantwortung dieser Fragen nähert man sich durch einen Vergleich der beiden „Werther“-Versionen von 1774 und 1787 z. B. anhand eines im Jahre 2009 erschienenen Paralleldrucks. Ergänzt hat Goethe in der 1787-er Version vor allem einen Absatz zur Beurteilung Alberts und eine neue Geschichte um einen Bauernburschen, der eine ältere Witwe liebt, die nicht mehr heiraten wolle.

    Der ergänzte Absatz über Albert ist so bedeutend, daß hier ein Teil eingeflochten werden soll. Er lautet: »… Zieht ihn nicht jedes elende Geschäft mehr an als die teure, köstliche Frau? Weiß er sein Glück zu schätzen? Weiß er sie zu achten, wie sie es verdient? Er hat sie, nun gut, er hat sie – ich weiß das, wie ich was anders auch weiß, ich glaube an den Gedanken gewöhnt zu sein, er wird mich noch rasend machen, er wird mich noch umbringen – und hat denn die Freundschaft zu mir Stich gehalten? Sieht er nicht in meiner Anhänglichkeit an Lotten schon einen Eingriff in seine Rechte, in meiner Aufmerksamkeit für sie einen stillen Vorwurf? Ich weiß es wohl, ich fühl‘ es, er sieht mich ungern, er wünscht meine Entfernung, meine Gegenwart ist ihm beschwerlich.«

    Was sollte Goethe für Gründe haben, dem scheinbar hiermit angesprochenen Kestner eine dermaßen üble Beurteilung nachzureichen. Die Kestners waren kurz nach ihrer Hochzeit 1773 nach Hannover gezogen. Goethe hatte sie nach seiner fluchtartigen Trennung von den beiden am 11.9.1772 nur noch ein einziges Mal Anfang November kurz nach dem am 30.10.1772 aus Liebeskummer begangenen Selbstmord des Wetzlarer Legationssekretärs Karl Wilhelm Jerusalem gesehen. Und Kestner hatte schon zu dem Albert der 1774-er Version des „Werther“ ein gespanntes Verhältnis wie der folgende Auszug aus einem Briefentwurf an Goethe zeigt, worin es heißt: »… Und Lottens Mann, Ihr nanntet ihn Euren Freund, und Gott weiß, daß er es war, ist mit ihr – Und das elende Geschöpf von einem Albert!« Und Goethe antwortet ihm: » – Werther muss – muss seyn! – Ihr fühlt ihn nicht, ihr fühlt nur mich und euch, und was ihr angeklebt heisst – und truz euch – und andern – eingewoben ist – Wenn ich noch lebe, so bist dus dem ichs dancke – bist also nicht Albert – «

    Damit ist bewiesen: Es ist auf keinen Fall Kestner, den Goethe in seinem „Werther“ Albert nennt. Und es ist auch nicht Charlotte Buff, die Goethe in seinem „Werther“ Lotte nennt. Dies geht aus demselben Brief hervor, in dem es als letztes heißt: »Ein Mädgen sagt mir gestern: Ich glaubte nicht daß Lotte ein so schöner Name wäre! er klingt so ganz eigen in dem Werther. Eine andre schrieb neulich: Ich bitt euch um Gotteswillen, heißt mich nicht mehr Lotte! – Lottgen, oder Lolo – wie ihr wollt – Nur nicht Lotte bis ich des Nahmens werther werde denn ichs bin. O Zauberkraft der Lieb und Freundschafft.«

    Diese andre kann schwerlich Charlotte Buff gewesen sein, die in den Goethe-Briefen an Kestner auch Ansprechpartnerin war, auch wenn in diesem Fall dieser Brief an Kestner adressiert ist und nicht, wie so oft, an Charlotte Kestner oder an Kestners. Welchen Grund sollte Goethe gehabt haben, die Zeilen eines Briefes zu wiederholen, die Kestner ja mit Sicherheit gekannt hätte, falls sie von seiner Frau geschrieben gewesen wären. Daß Goethe das Wort „Name“ mit h schrieb, obwohl er es im Satz zuvor richtig schrieb, zeigt außerdem, daß er die letzten Zeilen aus dem Brief der anderen wörtlich abgeschrieben hatte. Diese Zeilen zeigen weiterhin, daß es nur eine einzige gab, die sich angesprochen fühlte. Die folgenden Zeilen werden auch zeigen, wer diese andre war.

    Doch zuerst zu Albert! Wer könnte Goethes Widerpart der zitierten Freundschaft gewesen sein, von dem Goethe sich im „Werther“ 1786 als im Stich gelassen fühlte, der ihn zudem ungern sieht, Goethes Entfernung wünscht und dem Goethes Gegenwart beschwerlich ist? Es war offensichtlich eine Person, mit der Goethe auch noch 1786 eng zu tun hatte, und zudem auch die Macht besaß, Goethe zu entfernen! Man könnte auch sagen: verbannen! Verbanntsein aus Weimar! Und sprach Goethe im Zusammenhang mit seiner Italienreise nicht mindestens zwei Mal von seiner „Verbannung“? Und ist es nicht merkwürdig, daß Goethe ausgerechnet seinem Herzog Karl August vorher seine Absicht zur Flucht aus der Verbannung nicht mitteilte? Und wie schnell sich Goethe aus seiner Verbannung von Karlsbad nach Italien zu entfernen gedachte, zeigt allein die erste per Kutsche ununterbrochen gefahrene Etappe nach Regensburg von fast 150 km Luftlinie!

    Was hier schon leise anklingt ist die Tatsache, daß Goethe mit Albert seinen Herzog Carl August meinte. Und wer hinter den neuen Figuren der nicht mehr jungen Witwe und dem Bauernburschen steckt, ist dann neueren Goetheforschern auch schon klar. Doch der Reihe nach:

    Wenn es Carl August war, den Goethe in seinem „Werther“ mit Albert umschrieb, wie kommt es dann, daß Goethe ihn schon in seiner im August 1774 niedergeschriebenen ersten „Werther“-Version offensichtlich kannte und einbezog? Ist es vielleicht nur ein Märchen, daß Goethe erst Mitte Dezember 1774 mit Carl August erstmals zusammentraf und dieser ihn nach Weimar einlud? Um es vorweg zu nehmen: Ja! Es ist ein Märchen! Und was für eines!

    Wie kann sich der Schreiber dieser Zeilen da so sicher sein? Nun, wenn die Vorgeschichte zum „Werther“ und Carl August schon vor Dezember 1774 zu suchen ist, so kann eine Erklärung dazu nur in Goethes Werk „Aus meinem Leben – Dichtung und Wahrheit“ zu finden sein, das bekanntlich Goethes Leben bis zu seiner Abreise Anfang November 1785 nach Weimar beschreibt. Und in der Tat kann jeder Leser hierin umfangreich fündig werden.

    Goethe schrieb dieses im folgenden mit DuW abgekürzte Werk nicht aus Eitelkeit oder zur Vermittlung eines Eindruckes seines Werdeganges, sondern einzig und alleine, um zu seinem „Werther“ aufzuklären. Es muß Goethe unendlich schmerzlich gewesen sein, seinen „Werther“ in der herkömmlichen Art verkannt zu sehen. Und die Bedeutung von DuW leitet Goethe im 12. Buch ein mit den Worten: »Und indem nun der Verfasser zu dieser Stufe seines Unternehmens gelangt, fühlt er sich zum ersten Mal bei der Arbeit leicht ums Herz; denn von nun an wird dieses Buch erst, was es eigentlich sein soll. Es hat sich nicht als selbständig angekündigt; es ist vielmehr bestimmt, die Lücken eines Autorlebens auszufüllen, manches Bruchstück zu ergänzen und das Andenken verlorner und verschollener Wagnisse zu erhalten. Was aber schon getan ist, soll und kann nicht wiederholt werden; auch würde der Dichter jetzt die verdüsterten Seelenkräfte vergebens aufrufen, umsonst von ihnen fordern, dass sie jene lieblichen Verhältnisse wieder vergegenwärtigen möchten, welche ihm den Aufenthalt im Lahntal so hoch verschönten. Glücklicherweise hatte der Genius schon früher dafür gesorgt und ihn angetrieben, in vermögender Jugendzeit das nächst Vergangene festzuhalten, zu schildern und kühn genug zur günstigen Stunde öffentlich aufzustellen. Dass hier das Büchlein „Werther“ gemeint sei, bedarf wohl keiner nähern Bezeichnung; von den darin aufgeführten Personen aber, sowie von den dargestellten Gesinnungen, wird nach und nach einiges zu eröffnen sein.«

    Und mit dem Satz »von nun an wird dieses Buch erst, was es eigentlich sein soll.« meinte Goethe nicht nur den Rest des 12. Buches, sondern den gesamten Rest des aus 20 Büchern bestehenden Werkes DuW! Hierin »eröffnet« Goethe also Details der im „Werther“ »aufgeführten Personen«.

    Noch im 12. Buch berichtet Goethe von Charlotte Buff und deren Bräutigam Kestner. Goethe »konnte bald ihre Nähe nicht missen, denn sie vermittelten ihm die Alltagswelt, und so waren sie, bei einer ausgedehnten Wirtschaft, auf dem Acker und den Wiesen, auf dem Krautland wie im Garten, bald unzertrennliche Gefährten.« Charlotte Buff verrichtete also eher bäuerliche Tätigkeiten! Trotzdem verliebte sich Goethe in sie.

    Johann Heinrich Merck, Goethes väterlicher Freund, besuchte Goethe im Sommer 1772 in Wetzlar. Er konnte an Charlotte Buff keinen sonderlichen Gefallen finden. Er machte Goethe vielmehr auf eine Frau »junonischer Gestalt« aufmerksam. Und Goethe schrieb dazu: »so schalt er mich recht bitter aus, daß ich mich nicht um diese prächtige Gestalt bemüht, um so mehr, da sie frei, ohne irgend ein Verhältnis sich befinde. Ich verstehe eben meinen Vorteil nicht, meinte er,«

    Dann berichtet Goethe noch im 12. Buch über »Jerusalem, der Sohn des frei und zart denkenden Gottesgelehrten«, dessen Selbstmord Goethe die Idee zum „Werther“ lieferte.

    Von jetzt ab kommt es bei der weiteren Analyse auf die genaue Wiedergabe des von Goethe geschilderten weiteren Werdeganges an. Das 13. Buch beginnt mit den Worten: »Mit Merck war verabredet, daß wir uns zur schönen Jahreszeit in Koblenz bei Frau von la Roche treffen wollten.« Und Goethe berichtet anschließend über seine am 11.9.1772 begonnene orakelnde Wanderung über die an der Lahn liegenden Städte Wetzlar, Weilburg, Limburg, Diez, Nassau und Ems (dem heutigen Bad Ems), wo er »einige Male des sanften Bades genoß und sodann auf einem Kahne den Fluß hinabwärts fuhr.« Vorbei an Oberlahnstein gelangt er so zum Rhein und nach kurzer Fahrt flußabwärts in das Örtchen Thal neben dem Ehrenbreitstein gegenüber von Koblenz. Dort wird er im Hause der Familie la Roche, angekündigt von Merck, freundlich empfangen. »Mit der Mutter verband mich mein belletristisches und sentimentales Streben, mit dem Vater ein heiterer Weltsinn und mit den Töchtern meine Jugend.« Wichtig ist: Die la Roches hatten zwei Töchter, Maximiliane und Luise!

    Maximiliane Euphrosyne, auch Maxe genannt, hatte Goethe zusammen mit ihrer Mutter Sophie von la Roche bereits im April 1772 kennengelernt, als sie ihn in Frankfurt und anschließend Freund Merck in Darmstadt besuchten, bei dem sie auch übernachteten.

    Und jetzt berichtet Goethe in DuW: »So lebte ich in einer neuen, wundersam angenehmen Umgebung eine Zeitlang fort, bis Merck mit seiner Familie herankam. Hier entstanden sogleich neue Wahlverwandtschaften; denn indem die beiden Frauen sich einander näherten, hatte Merck mit Herrn von la Roche als Welt- und Geschäftskenner, als unterrichtet und gereist, nähere Berührung. Der Knabe gesellte sich zu den Knaben, und die Töchter fielen mir zu, von denen die älteste mich gar bald besonders anzog. Es ist eine sehr angenehme Empfindung, wenn sich eine neue Leidenschaft in uns zu regen anfängt, ehe die alte noch ganz verklungen ist. So sieht man bei untergehender Sonne gern auf der entgegengesetzten Seite den Mond aufgehen und erfreut sich an dem Doppelglanz der beiden Himmelslichter.«

    Goethe lebte zu diesem Zeitpunkt noch in Erinnerung an seine alte Leidenschaft zu Charlotte Buff. Die neue Leidenschaft, die sich in Goethe zu regen beginnt, gilt einer „ältesten Tochter“. Die Wissenschaft ist bis heute davon überzeugt, hierin Maximiliane erkannt zu haben. Doch daß Goethe sie nicht gemeint haben kann, umschreibt er in DuW etwas später mit den Worten: »Mein früheres Verhältnis zur jungen Frau, eigentlich ein geschwisterliches, ward nach der Heirat fortgesetzt; meine Jahre sagten den ihrigen zu, ich war der einzige in dem ganzen Kreis, an dem sie noch einen Widerklang jener geistigen Töne vernahm, an die sie von Jugend auf gewöhnt war. Wir lebten in einem kindlichen Vertrauen zusammen fort, und ob sich gleich nichts Leidenschaftliches in unsern Umgang mischte, so war er doch peinigend genug, weil sie sich auch in ihre neue Umgebung nicht zu finden wußte und … sich schon als Mutter von einigen Stiefkindern benehmen sollte.« Goethe liebte Maximiliane also nicht leidenschaftlich und außerdem kannte er sie seit April 1772! Eine neue Leidenschaft, von der Goethe oben sprach, kann sie also schon deshalb nicht gewesen sein! Wer war diese „älteste Tochter“ dann?

    Eine vorläufige Antwort auf diese Frage erhält der Leser erst, nachdem er die beiden Sätze des Vorwortes vom Vierten Teil von DuW verstanden hat. Der erste, beabsichtigt schwer verständlich geschriebene Satz lautet: »Bei Behandlung einer mannigfaltig vorschreitenden Lebensgeschichte, wie die ist, die wir zu unternehmen gewagt‹ (!) ›haben, kommen wir, um gewisse Ereignisse faßlich und lesbar zu machen, in den Fall, einiges,‹ (eine Gruppe Erlebnis-Fragmente) ›was in der Zeit sich verschlingt,‹ (in chronologisch verdrehter Reihenfolge erzählt ist) ›notwendig zu trennen, anderes,‹ (eine andere Gruppe Erlebnis-Fragmente) ›was nur durch eine Folge begriffen werden kann,‹ (in die richtige chronologische Reihenfolge gebracht) ›in sich selbst zusammenzuziehen und so das Ganze in Teile‹ (in Form zweier Geschichten) ›zusammenzustellen, die man sinnig überschauend beurteilen und sich davon manches zueignen mag.« Der Einfachheit halber sind die das Verständnis fördernden Erklärungen jeweils in runden Klammern ergänzt.

    Es sind also zwei Geschichten, auf die uns Goethe bezogen schon ab der im 13. Buch geschilderten Episoden vorzubereiten versucht – Geschichten um zwei verschiedene Frauen – zwei Geschichten, die sich erst nach der chronologisch richtigen Zusammenstellung der Erlebnis-Fragmente ergeben. Aus der chronologisch verdrehten Vermischung der mit den beiden Frauen erlebten Episoden, ergab sich die bekannte dritte Geschichte, die ausschließlich nur einer Frau zu gelten scheint, weil Goethe beide Frauen „Lili“ nannte. Nur deshalb wurde die dritte Geschichte einigermaßen glaubhaft, obwohl viele Leser aufgrund der naturgemäß entstandenen Widersprüchlichkeiten in der Geschichte um die scheinbar nur eine Lili fast verzweifelten.

    Die eine Frau ist die erst 16-jährige Anna Elisabeth Schoenemann (1758-1817), genannt Lili, mit der sich Goethe ab Januar 1775 öffentlich zeigte, um die bekannt gewordenen Gerüchte um seine im Dezember mit einer Fürstin eingegangene Beziehung den Boden zu entziehen. Goethes Vater hätte sie gerne als Schwiegertochter und Ersatz für die mittlerweile verheiratete Tochter Cornelia im Hause gehabt. Sie tritt in DuW, ohne Nennung ihres Namens (!), erst am Ende des 15. Buches in Erscheinung. Goethe nennt sie „Frauenzimmer“ und seine „Titulargattin“, ist von ihr gelangweilt, entzieht sich ihr durch eine fast vierteljährliche Flucht in die Schweizer Berge, und verhält sich „leidend“ (!) bei den häuslichen Vorbereitungen zu einer denkbaren Ehe.

    Die andere Frau ist jene genannte Fürstin. Goethes Vater nennt sie auch „Staatsdame“ (!), deren Beziehung zu seinem Sohn ihm überaus zuwider ist, weil er Verstellung und Schlimmeres befürchtet.

    Der Name „Lili“ tritt erst zu Beginn des 17. Buches in Erscheinung mit den Worten: »Wenn ich die Geschichte meines Verhältnisses zu Lili wieder aufnehme, so habe ich mich zu erinnern, daß ich die angenehmsten Stunden teils in Gegenwart ihrer Mutter, teils alleine mit ihr zubrachte.« Und der Leser ist verwirrt bei der Frage, wem der beiden zuvor beschriebenen Frauentypen dieser Name gebühren mag.

    Die Erkenntnis um die chronologische Verschlingung der im vierten Teil von DuW beschriebenen Episoden mit den beiden Frauen Lili, bestätigt Goethe mit dem zweiten Satz des Vorwortes zum vierten Teil DuW, der da lautet: »Mit dieser Betrachtung eröffnen wir den gegenwärtigen Band, damit sie zu Rechtfertigung unseres Verfahrens beitrage, und fügen die Bitte hinzu, unsre Leser möchten bedenken, daß sich diese hier fortgesetzte Erzählung nicht gerade ans Ende des vorigen Buches anschließt, sondern daß sie die Hauptfäden sämtlich nach und nach wieder aufzunehmen … die Absicht hat.«

    Und den Hauptfaden zu der bei den la Roches erlebten Geschichte und der Frage, wer die „älteste Tochter“ ist, setzt Goethe im 16. Buch fort mit folgenden Worten: »Unter andern ersuchte mich ein Freund eines Abends, mit ihm ein kleines Konzert zu besuchen, welches in einem angesehnen, reformierten Handelshaus gegeben wurde. Es war schon spät; doch weil ich alles aus dem Stegreif liebte, folgte ich ihm, wie gewöhnlich anständig angezogen. Wir traten in ein Zimmer gleicher Erde, in das eigentliche, geräumige Wohnzimmer. Die Gesellschaft war zahlreich; ein Flügel stand in der Mitte, an den sich sogleich die einzige Tochter des Hauses niedersetzte und mit bedeutender Fertigkeit und Anmut spielte. Ich stand am unteren Ende des Flügels, um ihre Gestalt und Wesen nahe genug bemerken zu können; sie hatte etwas Kindartiges in ihrem Betragen; die Bewegungen, wozu das Spiel sie nötigte, waren ungezwungen und leicht.« Es ist wieder der väterliche Freund Merck gemeint, der Goethe in das reformierte Handelshaus der Familie la Roche einlädt, und dieses Mal ist die fragliche Frauenperson bezeichnet mit „einzige Tochter des Hauses“!

    Aus der dann folgenden Beschreibung, wie sich diese Frau und Goethe einander nähern, sich später gegenseitig ihre Lebensgeschichten schildern und sich unsterblich ineinander verlieben, geht eindeutig hervor: Diese Frau ist die seit 14 Jahren verwitwete Herzogin-Mutter und Fürstin Anna Amalia von Sachsen Weimar und Eisenach, die Mutter des späteren Herzogs Carl August. Sie ist die „einzige Tochter“ dieses Hauses und mit Ihren 1772 erst 33 Jahren auch die „älteste Tochter“ im Kreise der im Hause la Roche Goethe zugefallenen Töchter! Diese Begriffe „einzige Tochter des Hauses“ und „älteste Tochter“ tauchen in Goethes Werken immer wieder auf, so z. B. auch im „Werther“!

    Dort heißt es bereits sehr früh: »Noch gar einen braven Mann habe ich kennen lernen, den Fürstlichen Amtmann, … Man sagt, es soll eine Seelenfreude seyn, ihn unter seinen Kindern zu sehen, deren er neun hat; besonders macht man viel Wesens von seiner ältesten Tochter.« Der Amtmann (später nennt ihn Goethe Amtmann S…) ist Charlotte (Sophie Henriette) Buffs 1771 verwitweter Vater Heinrich Adam Buff. Die älteste Tochter dieses Ordensamtmannes aus Wetzlar aber war eine gewisse Caroline Buff (genannt „Carlinchen“, *1751). Sie heiratete 1776 den Wetzlarer Hofrath Dr. Dietz. Doch im „Werther“ ist von dieser Caroline keine Rede. Merkwürdig, nicht wahr? Außerdem hatte Amtmann Buff nicht neun Kinder, sondern wahrscheinlich zwölf, fünf Mädchen und sieben Jungen!

    Die Idee zum „Werther“ entwickelte sich bei Goethe unmittelbar nach dem am 30. Oktober 1772 aus Liebeskummer begangenen Selbstmord Jerusalems. Mit dem „Werther“ wollte Goethe seiner sechs Wochen zuvor lieben gelernten Anna Amalia ein unvergängliches Denkmal setzen. Indem Goethe hierin scheinbar seine Beziehung zu den Kestners schilderte und auf deren familiäres Umfeld anpaßte, entstand bei kaum jemandem der Verdacht, Goethe könnte hierin jemand anderen gemeint haben. Und doch sind die im „Werther“ geschilderten Merkmale z. B. der Lotte so verschieden von der bäuerlich beschäftigten, erst 19-jährigen Charlotte Buff, daß deren Identität mit der Lotte nur äußerlich in Frage kommt – zuerst als Charlotte S …, dann als Mamsell Lottchen, und von da ab nur noch als Lotte (der Lotte übrigens in seinen späteren Briefen an Frau von Stein!).

    Goethes Lotte liest Bücher, deren Titel er nicht zu nennen wagt, weil dies bezogen auf Charlotte Buff zu unwahrscheinlich klingen mag. Werther fand in allem, was sie sagte, viel Charakter, sah mit jedem ihrer Worte neue Reize und neue Strahlen ihres Geistes und sie fühlte, daß er sie verstand. Als sie jünger war, liebte sie nichts so sehr, als Romane. Was sollte diese Aussage bezogen auf die erst 19-jährige Charlotte bedeuten? Lotte ist der Autor am liebsten, in dem sie ihre Welt wiederfindet, bei dem es zugeht, wie um sie selbst! Sie möchte also von Goethe literarisch verewigt werden! Lotte spricht über eine Miß Jenny und im Vorbeigehen vom Landpriester von Wakefield, Figuren aus der englischsprachigen Literatur, was die anderen begleitenden Personen sich nur mit offenen Augen anhören, als seien sie abwesend. Sie spielt hervorragend Klavier und tanzt höfische Tänze wie Contretanz, Menuetts und englische Tänze, mit Herz und Seele, wobei ihr Körper eine einmalige Harmonie ausstrahlt. Lotte zeigt sich trotz innerer Ängste mutig, hat das Sagen in einer Spielrunde und verteilt beliebig Maulschellen an Spielverlierer. Sie wird bei einem Gewitter an eine Ode Klopstocks erinnert und Werther küßt daraufhin ihre Hand unter den wonnevollsten Tränen. Und Werther verspricht ihr, wach zu bleiben, solange er ihre Augen offen sieht, d. h. so lange sie lebt! Was davon kann auf Charlotte Kestner zutreffen, die Goethe beim Schreiben des „Werther“ schon mehr als anderthalb Jahre nicht mehr gesehen hatte, die verheiratet im fernen Hannover lebt, bereits ein Kind hat und zu der Goethes Briefverkehr schon ab Ende 1774 fast völlig zum Erliegen kommt!

    Alle im letzten Absatz beschriebenen Merkmale passen genau auf die Fürstin Anna Amalia! Und die andre Briefschreiberin, die sich in der Lotte des „Werther“ erkannt hatte, war natürlich ebenfalls Anna Amalia.

    Goethe wollte im „Werther“ auch seine Erlebnisse in Adelskreisen schildern. Und weil Charlotte Buff keinen Umgang in Adelskreisen hatte, mußte Goethe für Anna Amalia ein Fräulein von B erfinden. Anderenfalls wäre die Geschichte der scheinbaren Charlotte sofort als unglaubwürdig aufgefallen. Und natürlich ist auch die in der 1787-er Ergänzung genannte nicht mehr junge Witwe, die nicht mehr heiraten wolle, keine andere als Anna Amalia! Und der Bauernbursche ist Werther/Goethe. Dies kommt besonders in dessen Furcht zum Ausdruck, Werther könnte ungleich denken über seine Liebe zur Witwe. Sie denken gleich, weil sie identisch sind.

    Und was bedeutet die Heirat zwischen Lotte und Albert, dem »Bräutigam« der Carl August schon versprochenen Luise? Goethe beschreibt die Beziehung zwischen Lotte und Albert im „Werther“ genauso wie zwischen Mutter und Sohn und nennt ihn beiläufig »Strohmann« (Scheinmann also!). Und wer ist jener tyrannische Herr Schmidt, mit dem Werther schon in der 1774er Version so viele Tränen kostende Wortgefechte führte? Auch er ist Carl August, und zwar der wahre Carl August, dessen Charakter Goethe schon im „Werther“ unbedingt hervorheben wollte. Dem Albert mußte Goethe ja einigermaßen sympathische Züge geben. Anderenfalls wäre die Entscheidung Lottes zugunsten Alberts anstelle von Werther ganz und gar unglaubwürdig geworden.

    In einem Werk über Goethes Mutter heißt es, Goethes Schwager Schlosser habe in seinem Werk „Ephimeriden der Menschheit“ Goethes „Werther“ gelobt mit den Worten: »Man braucht kein sehr großes Genie zu sein, um einen Grandison zu schreiben, ein Werther jedoch sei genial«. Schlosser war als enges Familienmitglied mit Sicherheit in die „Geheimnisse“ des „Werther“ eingeweiht. Nur so ist dieses Urteil dann auch zu verstehen.

    Und damit ergibt sich nicht nur aus dem „Werther“ sondern auch aus vielen anderen Details leider für Carl August ein ganz anderes Bild, als die Goethe-Forschung bisher vertrat. Eine Art Freundschaft ergab sich zwischen Goethe und Carl August erst nach der französischen Revolution im Juli 1789, als letzterer zu ahnen begann, daß Goethe in politischer Hinsicht für ihn in den zu erwartenden Wirren von großem Nutzen sein könnte und nachdem sich Goethe seinem Fürsten total unterworfen hatte. »Mache aus deinem Knecht, was du willst« schrieb Goethe ihm 1788 noch aus Rom. Und das alles nur, um seine Anna Amalia in Weimar wiedersehen zu können, und ihr wie versprochen treu dienen zu können, solange sie lebte – ab 1786 in gegenseitiger Entsagung. Auch nach ihrem Tode am 10. April 1807 setzte Goethe Ihr unvergängliche Denkmäler.

    Die vor-Weimarer Bekanntschaft zwischen Goethe und Anna Amalia aber mußte auch in den späteren Jahren unter allen Umständen geheim bleiben – und so auch die wahren Hintergründe zum „Werther“. Der vierte Teil von DuW wurde deshalb gemäß Goethes testamentarischem Willen auch erst nach seinem Tod veröffentlicht, als niemand mehr die hierin handelnden Personen nach versteckten Offenbarungen befragen konnte und den Druck des vierten Teils hätte verhindern können. Wer wohl hätte in Goethes Weimarer Zeit noch an eine Liebe zu Frau von Stein oder zu beliebigen anderen Frauen geglaubt, wäre die in DuW und „Werther“ versteckte Wahrheit zu früh bekannt geworden? Und die Briefe an Frau von Stein wären heute, wie so viele andere, mit Sicherheit nicht mehr vorhanden! Was hat Goethe an Demütigungen und üble Nachreden über sich ergehen lassen, um dies alles zu verhindern!?

    12. April 2011, Horst Strelow

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